Legen wir an einer Elektrolysezelle an den Elektroden eine Spannung an, beobachten wir unter Umständen keine Elektrolysereaktion. Erst ab einer bestimmten Spannung können wir eine beginnende Elektrolysereaktion beobachten. Zur Durchführung einer Elektrolysereaktion ist also eine Mindestspannung erforderlich. Diese Mindestspannung wird auch als Zersetzungsspannung bezeichnet und ist (theoretisch) die Potentialdifferenz zwischen der Anodenelektrode und der Kathodenelektrode. Erst nach dem Überschreiten der Zersetzungsspannung setzt die Elektrolysereakion ein.
Bei der Berechnung der Zersetzungsspannung müssen wir zwei Fälle unterscheiden (wie beim galvanischen Element). Zum einen läuft die Reaktion unter Standardbedingungen ab (dann können wir die Standardelekrodenpotentiale aus der elektrochemischen Spannungsreihe verwenden). Zum anderen ist die Zersetzungsspannung bzw. die Potentialdifferenz temperaturabhängig und konzentrationsabhängig. Betreiben wir eine Elektrolysezelle nicht unter Standardbedingungen, müssen wir die Potentiale mit Hilfe der Nernst ́schen Gleichung bestimmen.
1. Bestimmung der Zersetzungsspannung unter Standardbedingungen
Betrachten wir dazu die “Elektrolyse” von Wasser zu Wasserstoff und Sauerstoff. Dazu stellen wir erstmal die Reaktionsgleichung auf, ordnen den Elektroden die Begriffe “Anode” und “Kathode” zu und weisen den Reaktionen ein Potential mit Hilfe der elektrochemischen Spannungsreihe zu (gilt nur bei Standardbedingungen):
Anode (Oxidation): 6 H₂O => O₂ + 4 H₃O⁺ + 4 e⁻ E° = +1,23 V
Kathode (Reduktion) 2 H₃O⁺ + 2 e⁻ => H₂ + 2 H₂O E° = 0,00 V
Die Formel zur Berechnung der Potentialdifferenz ist die gleiche wie im Kapitel “galvanischen Zelle”:
Damit haben wir bestimmt, dass zur Elektrolyse von Wasser eine Zersetzungsspannung von 1,23 V notwendig ist.
2. Bestimmung der Zersetzungsspannung unter Nicht-Standardbedingungen
Dazu müssen wir mit Hilfe der Nernst´schen Gleichung die Potentiale der Elektroden unter den gegebenen Bedingungen (Temperatur, Konzentration der Elektrolytlösung) bestimmen.
Zur Berechnung der einzelnen Potentiale mit Hilfe der Nernst Gleichung -siehe Kapitel “Elektrochemie – Nernst Gleichung”. Nachdem die einzelnen Elektrodenpotentiale bestimmt sind, können diese Werte in folgende Gleichung eingesetzt werden
und man erhält die Zersetzungsspannung unter den gegebenen Bedingungen
Die Elektrolytlösung enthält mehrere Anionen und Kationen
Was passiert eigentlich, wenn man mehrere Anionen und Kationen in der Elektrolylösung vorliegen hat?
Auch diese Frage ist einfach zu beantworten. Liegen mehrere Ionen in der Elektrolytlösung vor, wird auch in diesem Fall nur ein Anion oxidiert und ein Kation reduziert (solange bis diese Reaktion vollständig abgelaufen ist). Zu Beginn einer Elektrolysereaktion wird immer das stärkste Oxidationsmittel reduziert (Stoff bzw. Ion mit dem positiveren bzw. schwächer negativerem Potential) bzw. das stärkste Reduktionsmittel oxidiert (Stoff bzw. Ion mit dem negativsten Potential). Hierbei ist aber auch immer auf die Überspannung zu achten, so kann der Fall eintreten, dass einen Ionensorte reduziert wird, obwohl eine andere eine ein positiveres Potential aufweist (=> Zersetzungsspannung).
Wie im letzten Absatz erwähnt, tritt nicht immer diese Elektrolysereaktion ein, die die geringste Zersetzungsspannung hat. Aufgrund von einigen physikalischen Effekten ist bei einigen Elektrolysereaktionen noch eine zusätzliche Spannung (zur Zersetzungsspannung) notwendig. Diese zusätzliche Spannung wird als Überspannung bezeichnet. Daher beobachtet man auch im Experiment eine höhere “Zersetzungsspannung”, als diejenige Spannung, die theoretisch berechnet wurde. Diese Überspannung beruht auf vielfältigen Ursachen, eine davon ist der Ohmsche Widerstand der Lösung (wie jeder elektrische Leiter hat auch die Elektrolytlösung einen Widerstand, der überwunden werden muss). Zum anderen kommt es bei einer Elektrolysereaktion zu einer Polarisierung (Aufladung) der Elektroden(oberflächen), was auch einer gewissen Hemmung der Reaktion entspricht.
Berechnen lässt sich diese Überspannung nicht, auch nicht theoretisch vorhersagen. Die Überspannung lässt sich nur experimentell bestimmen und entspricht der Differenz zwischen der tatsächlich gemessenen Zersetzungsspannung und der theoretisch berechneten Zersetzungsspannung. Für die meisten Elektrodenmaterialien sind diese Experimente bereits durchgeführt, so dass Literaturwerte zu fast allen Elektroden-Überspannungenbekannt sind.
Die Zersetzungsspannung ist die minimale elektrische Spannung, die bei der Elektrolyse an einer Elektrode anliegen muss, damit eine chemische Reaktion stattfindet.
Die Überspannung ist die zusätzliche Spannung, die in der Elektrolyse auf die Zersetzungsspannung angewendet werden muss, um den Elektrolyseprozess tatsächlich zu starten.
Die Zersetzungsspannung kann als Energieschwelle gesehen werden, die überwunden werden muss, damit bei der Elektrolyse eine chemische Reaktion ablaufen kann.
Die Überspannung ist aus energetischen Gründen notwendig, um die Elektrolyse zu starten und effizient durchzuführen. Ohne ausreichende Überspannung stellt sich kein messbarer Stromfluss ein.
Die Zersetzungsspannung und die Überspannung ergeben zusammen die Spannung, die für die Elektrolyse benötigt wird. Sie bestimmen damit auch, wie effizient der Elektrolyseprozess abläuft.
Die Zersetzungsspannung hängt von der Temperatur ab. Bei höheren Temperaturen sinkt die Zersetzungsspannung und bei niedrigeren Temperaturen steigt sie.
Die Überspannung wird von der Temperatur beeinflusst. Bei höheren Temperaturen sinkt die Überspannung, bei niedrigeren steigt sie.
Eine hohe Zersetzungsspannung und eine hohe Überspannung senken die Energieeffizienz der Elektrolyse. Sie bedeuten, dass mehr Energie benötigt wird, um die gewünschte chemische Reaktion herbeizuführen.
Die Zersetzungsspannung und die Überspannung können wir messen, indem wir die angewandte Spannung und den fließenden Strom im Elektrolyseprozess messen und mit den theoretischen Werten vergleichen.
Die Überspannung bei der Wasserelektrolyse dient dazu, den Prozess der Wasserspaltung in Wasserstoff und Sauerstoff effizient zu gestalten. Sie hilft, die Energiebarriere für die Elektrolyse zu überwinden.